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Katrin Dyballa

Herbert List, Ghost of Lykabettos, Athens, 1937

Herbert List, <em>Geist des Lykabettos, Athen 1937</em>. Münchner Stadtmuseum © Herbert List Estate / Magnum PhotosHerbert List, Geist des Lykabettos, Athen 1937. Münchner Stadtmuseum © Herbert List Estate / Magnum Photos

Glaring light falls on the figure standing amid an outcrop of rugged stone. A body cloaked in white. A face cannot be made out. Instead, a mirror hides the figure’s upper torso and face. Yet, we are denied a direct view into the mirror itself. It is held at an angle in front of the body, such that the inside of the left forearm and hand of the figure are seen against a field of black. According to the pictorial tradition, its gesture may be understood as one of acknowledgement. The figure thus enters into communication with the viewer and one does indeed feel addressed. But what is being communicated? What is the request we should acknowledge?

This surreal moment is intensified by the fact that the being cannot be determined. It remains hidden from us, unapproachable; it keeps us at a distance. One is reminded of the metaphysical worlds of Giorgio de Chirico, with their hermetic buildings and statuesque figures. It is not without reason that this similarity earned the works of Herbert List the designation fotografia metafisica. And indeed, the photograph points to another world: the inscription “Lykabettos” on the back reveals that List is leading us to antiquity. More precisely, he takes us on a journey to ancient Athens. With Lykabettos, he alludes to the myth according to which the Greek patron goddess of the city, Pallas Athena, dropped a mountain at Athens, thus providing a bulwark to protect the Acropolis. Mount Lycabettus is said to owe its name to the wolves (lycos in Greek) that haunted the mountain in times past.

But this photograph is not only a view toward the past but also, and equally, one that looks into the future. In a way, it stands for a new beginning in List's life. As a young German living openly as a gay man of Jewish ancestry—after the Nuremberg Race Laws came into force in 1935, he was considered a Vierteljude (literally “quarter Jew”)—it became impossible for him to live in Germany. Thus, in 1936, he decided to give up his job as a coffee merchant and general manager at List & Heinecken, his Hamburg family’s business. After stays in Italy, Switzerland, and England, Athens marked List’s new artistic beginning. He moved there in 1937 and henceforth devoted himself to his passion: artistic photography. Lykabettos was taken that same year. It is one of a series of photographs known today as Der Geist von Lykabettos (The Ghost of Lykabettos), and was included in List's first solo exhibition, held at the Galerie du Chasseur d’Images, a small gallery in Paris, from July 9 to 30, 1937. Devoted exclusively to photography, the gallery went on to show 150 landscape photographs by List, who, paradoxically, wanted to be understood as an amateur photographer throughout his life. Around this time he established the idea of a book project. His photographs were to be published throughout Europe in the illustrated book Licht über Hellas (Light over Hellas). But the outbreak of the Second World War in the autumn of 1939 put an end to these plans. For the time being. List held on to the idea, and Licht über Hellas was eventually published in 1953 by the Munich publishing house Callwey.

Even today, this photograph remains captivating. Its mix of inaccessibility and direct address pulls the viewer straight in—precisely because one almost expects to catch a glimpse of oneself in the mirror at any moment; a reflection that, of course, is perpetually denied. A recognition of the self, however, is presented to us in a more abstract way: the Ghost of Lykabettos’ gesture, which is mirrored and points towards us, can be understood as a reflection of one’s own self. It is an invitation to examine and reflect upon oneself, one's behavior, one's perception and cognition—just as Plato and Aristotle have demanded of us since antiquity.

Herbert List: Geist des Lykkabettos, Athen 1937

Gleißendes Licht fällt auf die in weißes Tuch gewandete Gestalt, die zwischen zwei schroffen Felswänden steht. Ein Gesicht ist nicht zu erkennen, stattdessen sehen wir einen Spiegel, der den Oberkörper und das Antlitz verdeckt. Doch ein direkter Blick in diesen bleibt uns verwehrt. Denn der Spiegel wird schräg vor dem Körper gehalten, so dass darin nur die Innenseite des linken Arms und der Hand der Gestalt vor schwarzem Grund zu sehen ist. Ihr Gestus darf der Bildtradition zufolge als ein Weisen verstanden werden. Die Gestalt tritt so in Kommunikation mit dem Betrachter, und tatsächlich fühlt man sich angesprochen. Doch was teilt sie uns mit? Welcher Aufforderung sollen wir nachkommen?

Dieser surreale Moment verstärkt sich dadurch, dass sich das Wesen nicht bestimmen lässt. Es bleibt uns verborgen und unnahbar, hält uns auf Distanz. Man fühlt sich an die metaphysischen Welten eines Giorgio de Chirico mit ihren verschlossenen Gebäuden und statuenhaften Gestalten erinnert. Nicht ohne Grund brachte diese Nähe den Arbeiten von Herbert List die Bezeichnung „fotografia metafisica“ ein. Und tatsächlich weist die Fotografie in eine andere Welt: Die rückseitige Bezeichnung „Lykabettos“ macht deutlich, dass uns Herbert List zurück in das Altertum führt. Genauer gesagt, nimmt er uns mit auf eine Reise in das antike Athen. Mit „Lykabettos“ spielt er dabei auf die mythologische Erzählung an, wonach die griechische Stadtgöttin Pallas Athene an dem so bezeichneten Ort einen Berg fallen liess, damit dieser als Bollwerk die Akropolis schütze. Seinen Namen verdankt er den Wölfen, die den Berg in vergangenen Zeiten heimsuchten – im Deutschen heißt er Wolfsberg.

Doch die Fotografie ist nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern gleichermaßen ein Blick in die Zukunft. Sie steht gewissermaßen für einen Neuanfang im Leben von Herbert List. Als junger Deutscher mit offen gelebter Homosexualität und jüdischer Herkunft – nach Inkrafttreten der Nürnberger Rassegesetze 1935 galt er als „Vierteljude“ – war es ihm nicht mehr möglich, in Deutschland zu leben. So entschloss er sich 1936 seinen Beruf als Kaffeekaufmann und Prokurist im Hamburger Familienunternehmen List & Heinecken an den Nagel zu hängen. Nach Aufenthalten in Italien, in der Schweiz und England markierte Athen seinen künstlerischen Neuanfang. Dorthin siedelte er 1937 um und widmete sich von nun an seiner Leidenschaft, der künstlerischen Fotografie. In diesem Jahr entstand auch die Aufnahme „Lykabettos“. Sie ist Teil einer Serie, die heute als „Der Geist von Lykabettos“ bekannt ist. Vertreten war sie bereits in der ersten Einzelausstellung von Herbert List, die vom 9. bis 30. Juli 1937 in der Galerie Du Chasseur d'Images stattfand. Die kleine Pariser Galerie, die sich ausschließlich der Fotografie widmete, zeigte in ihrer zweiten Schau 150 Landschaftsaufnahmen Herbert List, der sich Zeit seines Lebens paradoxerweise als Amateurfotograf verstanden wissen wollte. In dieser Zeit verfestigt sich auch der Gedanke eines Buchprojektes. Seine Fotografien sollten in dem Bildband „Licht über Hellas“ europaweit publiziert werden. Doch der Ausbruch des Zweiten Krieges im Herbst des Jahres 1939 machte diese Pläne zunichte. Vorerst. Denn an dem Gedanken hielt Herbert List weiterhin fest, und so konnte „Licht über Hellas“ schließlich 1953 im Münchner Verlag Callwey erscheinen.

Auch heute noch fesselt die Fotografie. Die Mischung von Unnahbarkeit und direkter Ansprache wirkt auf den Betrachter anziehend. Gerade weil man fast erwartet, sich jeden Moment im Spiegel selbst erblicken zu können, was einem jedoch verwehrt bleibt. Das eigene Erkennen wird uns hier jedoch weitaus abstrakter vorgeführt. Die sich spiegelnde und auf uns weisende Geste des Geistes von Lykabettos versteht sich als Reflexion über das eigene Ich. Es ist eine Aufforderung zu einem prüfenden und vergleichendem Nachdenken über sich selbst oder das eigene Verhalten, der eigenen Wahrnehmung und Erkenntnis, wie es schon in der Antike die Philosophen Platon und Aristoteles forderten.

© 2022 8th Triennial of Photography Hamburg 2022 and the author

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